Inhaftierung

”Starker Abgang, Jürgen!”
sagte Guido und lehnte sich zufrieden zurück.

Vor 66 Jahren: Inhaftierung eines Nienburger
SPD-Parteisekretärs im KZ Moringen

von Martin Guse

Den mit großer Wahrscheinlichkeit von ihnen selbst inszenierten  Reichstagsbrand vom 27.02.1933 nahmen die Nationalsozialisten zum Anlaß, im  gesamten ”Reich” eine lange vorbereitete Verhaftungsaktion gegenüber  KPD-Angehörigen durchzuführen. Ohne gerichtliche Ermittlungen abzuwarten, begann die zielgerichtete Inhaftierung von kommunistischen Parteifunktionären noch in der gleichen Nacht. Außerdem setzte die am nächsten Tag unterzeichnete ”Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat” die demokratischen Grundrechte der Weimarer Republik außer Kraft und ermöglichte die  zeitlich unbegrenzte ”Schutzhaft” ohne richterliche Kontrolle. Dem Terror der NationalsozialistInnen waren damit keinerlei gesetzliche Grenzen mehr gesetzt. Bis April 1933 ließen sie ca. 50.000 politische GegnerInnen in über 100 schnell  eingerichteten Folterstätten, Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftieren. Vor allem KommunistInnen - und bald auch SozialdemokratInnen und Gewerkschaftsmitglieder - wurden dort schikaniert, mißhandelt oder ermordet.

Bei der Suche nach geeigneten Haftstätten in der Provinz Hannover war der  hannoversche Regierungspräsident auf das Landeswerkhaus Moringen, einem  ehemaligen Waisenhaus, aufmerksam geworden. Die Anstalt - seit Jahrzehnten vor allem zur zwangsweisen Unterbringung und ”Umerziehung” von gesellschaftlichen  Außenseitern (u.a. Obdachlose und ”Unterhaltssäumige”) genutzt - bot genügend  Platz zur Inhaftierung einer größeren Zahl von Menschen. Der Provinzialverband Hannover, als Eigentümer an der kostendeckenden Unterbringung politischer  Häftlinge stark interessiert, übergab das Gebäude am 8.4.1933 offiziell an den ersten KZ-Kommandanten, den Polizeioberleutnant Müller. Das Landeswerkhaus Moringen war damit eines der frühen Konzentrationslager des NS-Staates.  Insgesamt wurden bis zur Auflösung des Lagers im Herbst des gleichen Jahres  circa 950 Männer - darunter KPD-Angehörige, SPD-Mitglieder,  Gewerkschaftsangehörige, Juden und Zeugen Jehovas - inhaftiert. Sie stammten  vorwiegend aus dem Großraum Hannover/Peine/Hildesheim, aus der Harzregion, aber auch aus den Regierungsbezirken Lüneburg, Osnabrück, Merseburg und Aurich.

Im Nienburger Umfeld ist bis heute nur wenig bekannt, daß auch Bürger aus der  Stadt und dem Landkreis Nienburg/W. von der Haft in Moringen betroffen waren. So wurden beispielsweise Wilhelm B., Peter B., Ernst E., Louis G., Heinrich R., Friedrich S., Heinrich S. und Willi W. aus Nienburg nach Moringen verschleppt. Sie hatten sich gegen die neuen nationalsozialistischen Machthaber ausgesprochen  oder waren Mitglieder der KPD. Aus dem Landkreis Nienburg inhaftierte man Wilhelm B. aus Diepenau, Emil Z. aus Rehburg, Ferdinand B. aus Lavelsloh und  Emil D. aus Sebbenhausen in Moringen. Auch den Nienburger SPD-Parteisekretär,  den am 22.12.1899 geborenen Buchdrucker Robert Hoffmeister, überstellte die Polizei in dieses Konzentrationslager. Robert Hoffmeister war 1918 in die SPD eingetreten und hatte sich im Jahr 1920 als Sozialdemokrat aktiv am  Generalstreik gegen den Kapp-Putsch beteiligt. Er hatte sich anschließend auf  eine langjährige Wanderschaft als Geselle begeben, um dann an der Akademie für  Arbeit in Frankfurt/Main zu studieren. Von der SPD als Parteisekretär nach Nienburg berufen, wählten ihn die NienburgerInnen im Jahr 1929 in den Rat der  Stadt sowie in den Provinzial-Landtag. In den Wahlkämpfen des Jahres 1932 organisierte er sozialdemokratische Kundgebungen und Demonstrationen.

SPD und KPD waren auch in Nienburg über den Weg und die Möglichkeiten des  Widerstandes gegen die Nationalsozialisten völlig zerstritten. Doch diejenigen,  die sich erbittert bekämpft hatten, gerieten nun gemeinsam in die  NS-Verfolgungsmaschinerie. Am 20.5.1933 wurde Robert Hoffmeister mit seinem  bekanntesten kommunistischen Widersacher aus Reihen der Nienburger KPD, August Nollkämper, in das KZ Moringen überstellt. Er war am 5.4.1933, also weit vor dem reichsweiten Verbot der SPD im Juni 1933 ”...wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung...” verhaftet worden. Das Vermögen der Nienburger SPD und  die Büroeinrichtung wurden beschlagnahmt und verschiedensten NS-Behörden  zugeführt. ”Die Harke” informierte die Öffentlichkeit Ende Mai 1933 über die Inhaftierung Robert Hoffmeisters und August Nollkämpers in Moringen.

Dem Unrechtscharakter ihrer Haft hatten sich die Gefangenen des KZ Moringen  im Juni 1933 mit einem alten Kampfmittel der Arbeiterbewegung, dem Hungerstreik,  widersetzt. Sie brachen den Streik ab, als die Polizeikommandanten Zwangsernährung und Wassersperre koppelten (”...auch wenn es 30 - 40 Tote  gäbe...”) und die ersten Häftlinge zusammengebrochen waren. Robert Hoffmeister erlebte diesen Versuch des Widerstehens ebenso mit, wie die Übergabe des Lagers  an die SS im August 1933. Inwieweit er selbst den schweren Mißhandlungen und sadistischen Quälereien durch die SS ausgesetzt war, ist heute nicht mehr zu rekonstruieren. Isolationshaft, Zwangsarbeit, Folter und entwürdigende Demütigungen dienten den neuen Machthabern nun auch in Moringen zur  ”Umerziehung” ihrer politischen Gegner. Robert Hoffmeister blieb bis Oktober 1933 in Moringen. Das Lager hatte durch die preußischen Behörden eine neue  Aufgabe zugewiesen bekommen: Es wurde schrittweise zum zentralen Frauen-KZ ausgebaut (1933 - 1938). Von der Anordnung der Verlegung der männlichen  Häftlinge war auch der Nienburger Parteisekretär betroffen. Die SS verlegte ihn  in das Konzentrationslager Papenburg. Auch hier blieb ihm die Haftdauer unbekannt, was ihn und seine Ehefrau im heimatlichen Nienburg sehr  verunsicherte. Im Zuge der Weihnachtsamnestie wurde Robert Hoffmeister im Dezember 1933 aus der KZ-Haft entlassen. Nach Nienburg zurückgekehrt, eröffnete  er einen Tabaksladen, da er durch den Ausschluß aus dem Buchdruckerverband keine Arbeit im erlernten Beruf annehmen durfte. Von 1939 bis 1945 war er Soldat. 1946 wurde Robert Hoffmeister Bürgermeister der Stadt Nienburg. Als Mitglied des niedersächsischen Landtages wählte ihn die SPD am 23.8.1946 zum  Fraktionsvorsitzenden. Dieses Amt hatte er über fünf Wahlperioden inne. Der spätere Verlagsdirektor der ”Hannoverschen Presse” starb am 30.1.1966.

Sein Lebensweg ist in der KZ-Gedenkstätte Moringen (bei Göttingen) nach 66 Jahren dokumentiert worden. Robert Hoffmeister, vorne rechts, während einer  Sitzung des Nds. Landtages am 30.5.1951 (Quelle: Nds. Landtag/Archiv)
// Martin  Guse

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