Gerda

”Starker Abgang, Jürgen!”
sagte Guido und lehnte sich zufrieden zurück.

Gerdas literarische 6-Minuten-Eier

Von Gabriele Treu, Schwarme

Neulich nacht beim Etappenschlummer träumte ich, es hätte leise und irgendwie  gedämpft an der Haustür geklingelt. Noch nicht wach, aber auch nicht mehr  schlafend, drängte mich ein taggetöntes Pflichtgefühl aufzuwachen, da niemand  außer mir zur Tür gehen würde (was der Realität entsprach). Aber eine andere Instanz in mir beharrte auf Nachtruhe, so daß ich eine Weile in einer Art  Zwischenzustand verblieb: etwa so, als würde man zwei Flächen eines festen Werkstoffes mit Leim bestreichen, sie fest zusammenpressen, für einen Augenblick antrocknen lassen und dann langsam auseinanderziehen, woraufhin sich lange Fasern der einen Hälfte an die andere klammern, des Träumers an den Traum. Dennoch - und hier kehre ich zu dieser seltsamen Nacht zurück - nahm ich peripher wahr, daß der ominöse Besucher bereits in meinem Zimmer war und mich (bei meinen strapaziösen Aufwachbemühungen) still und aufmerksam beobachtete. Als er sich anschickte, den Raum zu verlassen, riß ich mich endgültig aus dem  Schlaf, doch als ich schließlich aufschauen konnte, war er offenbar gerade gegangen; jedenfalls war er nicht mehr da. Inzwischen hellwach, wälzte ich mich  zur Seite und sah zur Tür. In diesem Moment klappte sie zu. Zugegeben, ich war einigermaßen erschrocken. Einige Minuten lang dachte ich darüber nach, wer wohl dieser Jemand (der just mein Zimmer verlassen und die Tür offensichtlich sorgfältig geschlossen hatte) gewesen sein mochte. Da war allerdings - das wurde  mir im Laufe der folgenden Stunden klar - auch ”Der verdammte Baumeister” mit seinen feinen, magischen Zeichnungen und seinen zuweilen recht ungewöhnlichen Prosa-Einfällen am Werke gewesen.

Verzeihung für den verschwiemelten Vorspann, der jedoch lediglich die subtile  Wirkungsweise der baumeisterlichen Einfälle illustrieren sollte! 1997 erschien ”Der verdammte Baumeister” im Wiener Zsolnay Verlag. Der Autor Bogdan Bogdanovic, 1922 in Belgrad geboren, hat sich als Universitätsprofessor und  Essayist, vor allem aber als Architekt einen Namen gemacht; unter anderem schuf  er bekannte Mahnmale wie die steinerne ”Blume von Jasenovic”. Von 1982 bis 1986  amtierte er als Bürgermeister seiner Heimatstadt. Das hier besprochene Buch  schafft Ausblicke auf unterschiedliche Perioden im Leben des heute 77jährigen, denen nicht selten das Flair vergangener Epochen anhaftet, z. B. wenn - noch vor  dem Zweiten Weltkrieg - der junge Bogdanovic auf der Belgrader Festung Kalemegdan herumstromert und seinen Blick in die Ferne schweifen läßt. Mütter und Tanten machen mit großer Kinderschar Dampferfahrten zum gegenüberliegenden  Ufer in die Zwillingsstadt Semlin, um Hüte, Posamenterie und nicht zuletzt duftende Wiener Mehlspeisen zu erstehen. Doch die städtische Idylle trübt sich allmählich ein, das das Herumschnüffeln von Polizeiagenten in Belgrader Schulen  etwa wird immer alltäglicher, auch wenn der altmodische Direktor des Zweiten Belgrader Knabengymnasiums, ”nebenbei gesagt, er war Germanist”, dies noch einige Zeit zu verhindern weiß. Nach dem Krieg übersteht der junge Architekt und  Künstler eine Begegnung mit dem ”Monarchen” Tito, nicht ahnend, in welche Gefahr er sich mit seinem forsch-saloppen Auftritt begeben hatte. Auch der Aufstieg des Slobodan Milosevic kommt zur Sprache; kurz vor seiner Emigration nach Wien im Jahre 1993 wird Bogdanovic noch einmal zu diesem neuen ”Helios” zitiert, dessen Haar ”sich wegen eines verzückten inneren Magnetismus nach allen Richtungen”  sträubt. Doch der Architekt widersetzt sich den Forderungen des Diktators und  riskiert damit eine akute Majestätsbeleidigung.

Aber nicht nur Biographisches wird dargelegt; Erinnerungen und architekturphilosophische Erörterungen, Träume und verrückte Inspirationen stehen in diesem Buch gleichberechtigt nebeneinander. Von einer mysteriösen Erfindung ist z. B. gleich zu Beginn die Rede, von einer grünen Schachtel, genauer: einem sorgfältig mit dunkelgrüner Tapete beklebten Waschmittelkarton,  gleichsam eine Metapher für die oben angedeutete Magie der in uns verborgen wirkenden und überaus phantastischen Traumwelt. Es geht bei diesem dubiosen  Behältnis um eine Art Briefkasten für sich selbst, wobei es nur eine Öffnung für  den Einwurf allerlei skurriler Ideen und Gedankenfetzen gibt; eine  Vorrichtung, die an sich selbst gesandte Post wieder aufzunehmen oder gar zu lesen, ist mit spielerischem Ernst ausgespart. Vielleicht ein Versuch oder eine Möglichkeit, der inneren Anarchie mit anarchischer Ordnung entgegenzukommen. Anarchie ist denn wohl auch das provozierende oder verlockende Moment für die  serbischen ”Patrioten”, die in Bogdanovics ”Dorfschule für die Philosophie der  Architektur” in der Nähe von Belgrad einfallen, sich ”wie betrunkene Esel”  benehmen und ihren vandalistischen Bedürfnissen freien Lauf lassen. Seine Studenten retten mit intuitiver List die erwähnte grüne Schachtel und bringen sie in die Stadtwohnung des schreibenden Architekten, der - nebenbei - auch andere sonderbare Angewohnheiten hat, z. B. die Fenster neu bezogener Anwesen  unauffällig zuzumauern. Die nationalistischen ”Esel” entwickeln eine zynische  Kreativität, um dem Autor und seiner Frau das Leben schwer zu machen. Bogdanovic verweist - mehr oder weniger en passant - darauf, daß sie ihren diffusen Auftrag aus der klammen Trutzburg des frostigen Despoten Slobodan Milosevic erhielten.

Es tut gut, sich mit diesem Serben zu befassen; vielleicht tut es auch not,  denn sein Zeugnis widerspricht unserer oft eingeschränkten Sicht des  südöstlichen Europas. Wir verlegen uns allzu leichtfertig auf eben das Klischee,  was einem durchgeknallten Diktator unserer Tage als Propagandamittel gerade  recht ist, das nämlich des martialischen und (kult-) urtümlichen Balkans oder das des blutrünstigen Serbiens oder das des ewig unverstandenen Opfervolkes. ”Die Teilnehmer ... sprachen wie im Fieberwahn von - blutigen (natürlich  serbischen) Köpfen, die davonrollen’, beweinten die ”Leichen der entschlafenen (natürlich serbischen) Soldaten”, stolperten beinahe über die ”Körper der vergewaltigten (natürlich serbischen) Mädchen und Frauen”, und das alles in einem Augenblick, in dem noch kein Kopf gerollt und keine Frau vergewaltigt worden war. Wenig später rollten tatsächlich die Köpfe und wurden Frauen  vergewaltigt, aber am allerwenigsten die serbischen.“ Es gibt also (wie  eigentlich überall) so'ne und solche, die Zitierten und den Zitierenden,  und es wirkt befreiend, Serbien von dieser Seite kennenzulernen. Der hier  vorgestellt wird, ist ein Intellektueller, wie er im Buche steht, besser: ein  Mann, der sich für sinnliche Flirts mit einer sehr kulturverbundenen und  gleichzeitig metaphysichen Sinnebene seit Jahrzehnten nicht zu schade ist. Dabei ist sein Buch keineswegs ausgesprochen sozialkritisch, es ist denen nicht zu  empfehlen, die nach einer eindeutigen Beurteilung scheinbar eindeutiger Vorgänge Ausschau halten, weder zu der einen noch zu der anderen Seite. Obwohl in den Schilderungen der politischen Bedrängnisse also eindeutig Stellung bezogen wird, geht es vieldeutig um summende Steine und singende Steinmetze, um vergiftete  Gärten und um - wie sollte es anders sein - Architektur. Auch Bogdanovic ist so etwas wie ein Magier, ein ungeschickter, wie er einem kleinen Jungen am Ende des Buches zudenkt, aber seine Zaubereien, die Zeichnungen und die sprachlichen Bilder, sind durch und durch menschlich. Doch Vorsicht! Wer die kleinen Episoden als Betthupferl zu sich nimmt, muß unter Umständen damit rechnen, daß sie sich  in den Träumen fortspinnen.

Bibliographische Angaben: Bogdan Bogdanovic (1997): Der verdammte Baumeister. Erinnerungen. Wien: Paul Zsonay  Verlag. 46,- DM.

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